Montag, 21. Mai 2012

Meine Morgenlandreise nach Nepal - Teil 6

Kathmandu Music-Academy

Es wurde einfach nicht langweilig in Kathmandu. Beim Schlendern durch die Gassen standen wir dann vor einem Muskinstrumente-Geschäft. Während ich noch durch das Schaufenster die reich verzierten Instrumente bewunderte, stand Heinrich schon mittendrin.
Ich weiß nicht, ob die Hindus eine Gottheit haben, die nur für Musik zuständig ist, Heinrich jedenfalls ist leibgewordene Inkarnation einer Solchen.
Straßenszene in Kathmandu
Seine Finger probierten Tasten, Saiten, gespannte Häute... Er konnte mich immer wieder beeindrucken!
Begeistert von so viel Begeisterung erklärte die Verkäuferin ihre Instrumente und erkannte sofort in uns ein dankbares Publikum für das Sitar-Konzert, das am Abend stattfinden würde. Sie begann, uns den Weg zur Musik-Academy zu erklären, merkte aber schnell, dass wir niemals hinfinden würden, und so wollten wir uns hier zu gegebener Zeit vor dem Laden treffen, um dann gemeinsam zu gehen.


Essen in Kathmandu
Bis dahin war noch Zeit und als es dämmerte, bestellten wir uns auf einer Restaurantterrasse ein Reisgericht mit grünem Gemüse und kleinen Erbsenfladen.
Dabei konnten wir das bunte Treiben auf der Straße betrachten: eine dürre Kuh, die mit ihrem Kalb vorbeitrottete, lachende, sich jagende Kinder in zerlumpten Kleidern, kleine Opfergaben, die mit einem Ritual und Gesang an Tempeltreppen abgelegt wurden, Frauen, die ganze Bündel von Räucherstäbchen entzündeten und neben Götterbildern befestigten, Gemüsereste, die für die streunenden Kühe vor die Haustüren geworfen wurden, eine Ratte, die über ein hoch in der Luft hängendes Stromkabel von einem Haus zum anderen gelangte...
Alles so selbstverständlich und friedfertig. 

Wie verabredet trafen wir vor dem inzwischen geschlossenen Musikgeschäft die Verkäuferin, die uns durch die spärlich beleuchteten Gassen führte. Vor einem schlecht beleuchteten, abbruchreifen Gebäude forderte sie uns auf, einzutreten. Drinnen in der "Music-Academy" wartete ein Mann mit Laterne und beleuchtete eine provisorische, weil nicht vorhandene Treppe. Mit Vorsicht kraxelten wir in dem baufälligen Haus nach oben.
Und dann das Unfassbare: ein Saal, mit Teppichen und Sitzkissen und einer niedrigen Bühne. Schön mit Kerzen beleuchtet und bunten Tüchern dekoriert, so ganz nach Heinrichs Geschmack!
Der Duft der heiligen Pflanze lag schwer im Raum und wir machten es uns mit etwa 10 weiteren Gästen bequem.
Zwei europäische (!) Sitar-Virtuosen, begleitet von einem Tabla-Spieler entrückten uns in morgenländische Klangwelten. Eine Raga folgte der nächsten und der übernächsten und der überübernächsten. Nach etwa drei Stunden wusste ich einfach nicht mehr, wie ich sitzen sollte, jeder Gesäßfetzen war bereits plattgesessen und etwas beunruhigt musste ich daran denken, dass wir früh am nächsten Morgen den Bus nach Pokhara nehmen wollten. Nun ja, man ist ja nicht alle Tage in der Kathmandu Music-Academy und etwas mürbe bemühte ich mich, das Gespräch auf Englisch zwischen Heinrich und den Sitarspielern zu verfolgen. Ich verstand immerhin, dass sie in den 70-ern hier mit ihrem Hippiebus hängen geblieben waren und es zu beachtlichem Erfolg in der hiesigen Musikszene gebracht hatten. Eine beispielhafte Integration von Migranten sozusagen.

Abend in Kathmandu
Wir überstanden den Abstieg im Treppenhaus und verabschiedeten und vor dem Haus von den Musikern und der Verkäuferin. Es mochte bereits 23.00 Uhr gewesen sein und wir peilten die Richtung an, aus der wir vermutlich gekommen waren.

Und dann gingen die Lampen aus. Alle. Ohne Ausnahme.
Wir standen in stockfinsterer Nacht an einem uns unbekannten Platz und sahen - nichts!
Das heißt, allmählich wurden einige Kerzen von den Hausbewohnern entzündet und auf die Türschwellen geklebt. Auch die wenigen noch besetzten Marktstände wurden durch warmgelbes Kerzenlicht erhellt.
Jede Nacht traf es einen anderen Stadtteil für mehrere Stunden: der Strom wurde einfach abgestellt!
Ein absolut authentisches Mittelalterfeeling...

Wir fragten einen Marktverkäufer nach dem Weg. Und als sich unsere Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, wunderten wir uns zeitgleich, was der da eigentlich verkaufte?
Er saß auf einem Berg Sand oder Streuseln. Neugierig fragten wir nach seiner Ware. Er konnte kein Englisch, deutete aber an, wir sollten von dem Berg etwas probieren.
Boah, essen meinte der? Von dem klumpigen dunklen Berg??? Auf dem er saß???
Wir nahmen jeder tapfer einige der faserigen Krümel in die Finger, Heinrich vermutete Opium, ich vermutete Kuhdung.
Wir hatten beide Unrecht: es war ein aromatischer, köstlicher Zucker! Der Traum eines jeden Reformhäuslers - rohester Rohrohrzucker in rohester Rohform!
Der Verkäufer freute sich über unsere überraschten Bleichgesichter, wickelte uns auf unseren Wunsch hin ein Kilo in Zeitungspapier ein und wir träumten uns durch die kerzenbeleuchtete Stadt.
Aus einer dämmrigen, halb offenen Stube  klangen uns melodische Kirtans entgegen, fromme, folkloristische  Lieder, die von Männern und Frauen auf landestypischen Instrumenten begleitet wurden. Wir setzten uns auf die Treppenstufen um zu lauschen und wussten nicht mehr, ob wir noch auf der Erde weilten.

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